===== Medieninfo «Big Brother Awards 2003» (6d) vom 1. November 2003 ** Vierte Schweizer «Big Brother Awards» ** Preisverleihung HEUTE Abend in Bern ** Die Sieger heissen: -- Samuel Schmid, Bundesrat VBS (Staats-Award) -- Firma Orange Communications, Lausanne (Business-Award) -- Untersuchungsrichter Jean Treccani, Lausanne (Kommunikations-Award) -- Hans-Ulrich Helfer (Lebenswerk-Award) -- Annina Rüst, Salomé Rebekka Zollinger, Daniel Costantino (alle drei «ex aequo», Winkelried-Award) (Diese und frühere Medieninfos stehen auch als PDF-File zur Verfügung: http://www.bigbrotherawards.ch/2003/presse/ ** Vierte Schweizer «Big Brother Awards» -- DIE SIEGER Anlässlich einer feierlichen Preisverleihung im «Dachstock» der Berner Reitschule wurden heute/gestern Abend (1. November 2003) die Gewinnerinnen und Gewinner der vierten Schweizer «Big Brother Awards» bekanntgegeben [1]. Mit diesen «Preisen, die niemand will» werden Personen oder Institutionen ausgezeichnet, die das persönliche Grundrecht auf den Schutz der Privatsphäre missachten oder die Überwachung und Kontrolle von Personen oder von Personengruppen fördern. In seiner Eröffnungsrede wies der Datenschutzbeauftragte der Stadt Bern, Mario Flückiger, auf mögliche Risiken der Videoüberwachung im öffentlichen Raum und ihre Auswirkung auf die Wahrnehmung von Grundrechten hin. Ob dieses Mittel zum Einsatz komme und wie weit die Beeinträchtigung der Privatsphäre des Einzelnen gehen dürfe, müsse im Prozess der politischen Willensbildung bestimmt werden. Aufgabe der Datenschutzbeauftragten sei, die EntscheidungsträgerInnen zu beraten und sie für datenschutzrechtliche Belange zu sensibilisieren. Drei Betonpokale gingen an die grössten Schnüffelratten in den Kategorien «Staat», «Business» und «Kommunikation». Weiter wurde ein «Lebenswerk-Award» für besonders hartnäckige, lebenslange Spitzelarbeit verliehen. Neben diesen vier negativen Auszeichnungen wurde mit dem «Winkelried Award» besonders lobenswerter Widerstand *gegen* Überwachung und Kontrolle belohnt. Der Anlass wurde gemeinsam organisiert von der «Swiss Internet User Group SIUG» [2] und vom «Archiv Schnüffelstaat Schweiz ASS» [3]. In der Schweiz fand die Preisverleihung bereits zum vierten Mal statt. Zu den Siegern der Vorjahre gehören beispielsweise die Firmen Swisscom und Hoffmann-LaRoche, die Krankenkasse SWICA, die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten, die Zürcher Kantonspolizei, Herr Urs von Däniken, sowie der ominöse «Club de Berne». Eine Ehrenliste mit Links findet sich unter . Die Nomination der Preisträger erfolgte durch die Oeffentlichkeit. Bis Ende August wurden über 80 Vorschläge für den Schnüffelpreis eingereicht. Nach einer ersten Prüfung durch das Organisationskomitee [1] wurden 52 Nominationen einer unabhängigen Jury vorgelegt. Ihr gehören 13 Personen an, die sich in verschiedenen Organisationen, Institutionen oder Medien zu den Themen Überwachung, Kontrolle und Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung engagieren (sh. [12]). --> Eine vollständige Liste der Kandidaturen mit einer Begründung und weiterführenden Quellenangaben findet sich unter: http://www.bigbrotherawards.ch/2003/nomination/nominees/ Nach zwei Anlässen im Zürcher Kulturzentrum «Rote Fabrik» [4] und einem Gastspiel im Casinotheater Winterthur fand die satirische Preisverleihung diesmal erstmals in der Bundeshauptstadt statt. Im «Dachstock» [7] der Berner Reitschule verlas der Schauspieler Ernst Jenni die bisweilen zynische Laudatio (Auszüge finden sich demnächst online unter [13]). Für Unterhaltung sorgte das Duo «Gans & Gloria». Im Anschluss an die Preisverleihung spielte die Band «L'Enfance Rouge». ** DIE SIEGERINNEN UND SIEGER In der Kategorie «Staat» ging der Hauptpreis an den Bundesrat SAMUEL SCHMID vom Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), für den «Rekrutenfragebogen» bei Aushebungen (Nomination Nr. 740). Das VBS knüpft damit an seinen Erfolg im Jahr 2000 an, als es in derselben Kategorie einen Schnüffelpokal für die Satellitenabhorchanlage «SATOS-3» erhielten (heute: «ONYX»). Die Auszeichnung in der Kategorie «Staat» war dieses Jahr besonders hart umkämpft: Gleich drei der 16 Nominierten erhielten von der Jury dieselbe Punktzahl und positionierten sich ex-aequo auf dem zweiten Rang: Die GENFER POLIZEI und der Untersuchungsrichter STEPHANE ESPOSITO bewarben sich mit der Internet-Fahndung von Personen, die im vergangenen Juni an Demonstrationen gegen das Treffen der G8 teilnahmen. (Nr. 810 -- Nach heftiger Kritik wurde die Internetseite inzwischen wieder abgeschaltet.) Ebenfalls auf den zweiten Rang schaffte es der Gesamtbundesrat, vertreten durch RUTH METZLER (EJPD, CVP), für die im November 2001 per Notrecht erlassene und ein Jahr später stillschweigend um weitere 12 Monate verlängerte «Verordnung betreffend die Ausdehnung der Auskunftspflichten und des Melderechts von Behörden, Amtsstellen und Organisationen zur Gewährleistung der inneren und äusseren Sicherheit» (SR 120.1) (Nr. 995). Ein weiterer zweiter Preis ging an den GEMEINDERAT VON MOERSCHWIL (SG), für seinen Aufruf, Asylsuchende konsequent zu bespitzeln (Nr. 475). Siegerin in der Kategorie «Business» wurde die Telekommunikationsfirma ORANGE in Lausanne (Nr. 754), für ihre geheimen Fichen über ihre Angestellten. Die WINTERTHUR-VERSICHERUNG (Nr. 749) erhielt eine lobende Erwähnung für die Registrierung ihrer Kundschaft in einer ebenfalls geheimen Datenbank. Eine weitere lobende Erwähnung ging an SANTESUISSE, den Verband der Krankenversicherer, für das einheitliche Tarifsystem «Tarmed» (Nr. 1017). Wenn es nach SantéSuisse geht, so wird ab dem 1. Januar 2004 auf allen Arztrechnungen ein detaillierter Diagnose-Code aufgeführt. Die Krankenkassen erhielten dadurch Einblick in besonders schützenswerte Patientendaten. Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte kritisert «Tarmed» bereits seit mehreren Jahren und warnt vor der Schaffung von «gläsernen Patienten». Mit einem Sonderpreis wurde die Direktion des GRAND HOTEL BELLEVUE in Gstaad (Nr. 684) zum «BBA-Hotel des Jahres 2003» erkürt. Das Hotel rühmt sich dafür, dass ihr Küchenpersonal permanent mit einer öffentlich zugänglichen Web-Kamera überwacht wird. Der waadtländer Untersuchungsrichter JEAN TRECCANI gewann den Schnüffelpreis in der Kategorie «Kommunikation» (Nr. 328). Er wurde nominiert für die Anordnung einer Rasterfahndung von mobil Telefonierenden. Mit diesem in der Schweiz erstmals durchgeführten Verfahren geraten tausende Personen unter einen Generalverdacht, nur weil sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Nähe eines bestimmten Ortes telefonierten oder einen Anruf erhielten. Da sich alle drei betroffenen Mobiltefonieanbieter jedoch weigerten, der Anordnung nachzukommen, muss der Präzendenzfall nun vom Bundesgericht geprüft werden. Ein Trostpreis ging an die Firma ALCATEL, die eine «Blackbox-Gesamtlösung» zur Überwachung der gesamten Netzwerkkommunikation bei «Internet Service Providern» (ISPs) vertreibt (Nr. 587). Die Firma DDLX INFORMATICS erhielt eine lobende Erwähnung für das Anbieten eines Gerätes in der Grösse einer Zündholzschachtel, mit welchem private oder geschäftliche Telefongespräche aufgezeichnet werden können (Nr. 721). Der begehrte «Lebenswerk-Award» für besonders hartnäckige Beschnüffelung ging dieses Jahr an HANS-ULRICH HELFER (Nr. 734). Helfer gilt als «alter Kämpfer» im Bereich der Bespitzelung. Nach ersten Lehrjahren beim berüchtigten Kommissariat «KK III» der Zürcher Stadtpolizei und als «informeller Mitarbeiter» in Ernst Cinceras sagenumwobenen Schnüffelarchiv baute er ab 1983 mit der Firma «Presdok AG» einen eigenen einschlägigen «Dokumentationsdienst» auf. Heute ist Helfer als Herausgeber von Fachpublikationen und als Berater von Konzernen und Persönlichkeiten zu einem eigentlichen «Sicherheitsprofi» geworden. Nur auf den zweiten Rang schaffte es der Tessiner Ständerat DICK MARTY (FDP). Er setzt sich seit mehreren Jahren hartnäckig für die Registrierung von sogenannten Prepaid-Handy-Karten ein (Nr. 1044). In der Wintersession 2002 wurden seine Bemühungen endlich von Erfolg gekrönt (Geschäft Nr. 02.052). Sowohl Helfer wie Marty kandidierten bereits im Vorjahr für einen «Big Brother Award» in der Kategorie «Lebenswerk». Beide bedankten sich im Voraus beim Organisationskomitee für die Nominierung und liessen sich dafür entschuldigen, dass sie aufgrund anderer Verpflichtungen nicht an der Preisverleihung teilnehmen konnten. Für den einzigen Positivpreis, den «Winkelried Award», standen drei Kandidatinnen und Kandidaten zur Auswahl. Im Gegensatz zu den vier Negativpreisen zeichnet der «Winkelried Award» eine Person aus, die sich in lobenswerter Weise *gegen* zunehmende Überwachung und Kontrolle zur Wehr setzte. Die Zürcher Medienkünstlerin ANNINA RUEST wurde für «SuPerVillainizer» nominiert. Dieser Internet-basierte «Verschwörungsgenerator» schafft virtuelle Bösewichte, die sich gegenseitig subversive E-Mails zuschicken und die Internet-Überwachungsbehörden verwirren sollen (Nr. 357). REBEKKA SALOME ZOLLINGER wehrte sich dagegen, dass sie bei der «Winterthur»-Versicherung in einer geheimen Datenbank registriert wurde. Sie wandte sich an die Presse und zeigte auf, dass die Datensammlung auch falsche Angaben und tendenziöse Verdachtsmomente enthält (Nr. 750). DANIEL COSTANTINO bewies Zivilcourage, als er den umfangreichen Fragebogen der diesjährigen Rekrutenbefragung des VBS (Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport) im Internet veröffentlichte. Aufgrund der Proteste sah sich das VBS in der Folge gezwungen, einige Fragen aus dem Fragebogen zu entfernen (Nr. 888). Die drei Fälle zeigen, dass für Widerstand gegen die schleichend zunehmende Überwachung der Bevölkerung sowohl Ausdauer und Zivilcourage, als auch Humor nötig ist. Da alle drei Nominationen für den «Winkelried-Award» von der Jury ähnlich stark unterstützt wurden, erhielten sie die Auszeichnung «ex aequo». In einer Schlussabstimmung bestimmte das Publikum der Preisverleihung ANNINA RUEST zum «Haupt-Winkelried des Jahres 2003». ** International koordinierte Aktion Am Wochenende vor dem Anlass in der Berner Reitschule fanden die Preisverleihungen für die diesjährigen «Big Brother Awards» in Deutschland, Spanien und Oesterreich statt [11]. Die ersten Pokale gegen Überwachung und Kontrolle wurden 1998 in Grossbritannien von der Organisation «Privacy International» verliehen [10]. Inzwischen fanden über 30 weitere Zeremonien statt [11], unter anderem in den USA, in Grossbritannien, Frankreich, Ungarn, in den Niederlanden, in Japan und in Australien. Weitere Veranstaltungen sind in Planung. Die Verleihung der Schweizer Schnüffelpokale wird organisiert von der «Swiss Internet User Group SIUG» [2] und vom «Archiv Schnüffelstaat Schweiz» [3], mit Unterstützung des Kulturzentrums «Rote Fabrik», Zürich [4], des Vereins «trash.net» [5], des Dachstocks der Reitschule Bern [7], der Online-Gewerkschaft //syndikat [6] und der Gewerkschaft «comedia». Medienpartner sind «WOZ Die Wochenzeitung» [8] und «Le Courrier» [9]. Am Rande der Preisverleihung in Bern erklärten die Organisatoren die Ausschreibung für die «Big Brother Awards 2004» für eröffnet (Formulare sind auch online erhältlich [14]). Weitere Informationen zu den aktuellen und zu früheren GewinnerInnen sind unter [1] zu finden, ebenso Pressefotos. ===== Links: ===== [1] http://www.bigbrotherawards.ch [2] http://www.siug.ch [3] http://www.raben-net.ch/ficherman/ [4] http://www.rotefabrik.ch [5] http://www.trash.net [6] http://www.syndikat.ch [7] http://www.dachstock.ch [8] http://www.woz.ch [9] http://www.lecourrier.ch [10] http://www.privacy.org/pi/bigbrother/ [11] http://www.bigbrotherawards.org (international) [12] Die Jury: [13] Die Laudatio ist demnächst zu finden unter http://www.bigbrotherawards.ch/2003/event/laudatio Die letztjährige Laudatio findet sich online unter , jene des Jahres 2001 unter . [14] Ausschreibung für Nominationen ab September 2003 bis August 2004: http://www.bigbrotherawards.ch/2004/nomination/nomination ===== Kontakt: ===== mailto:info@bigbrotherawards.ch http://www.bigbrotherawards.ch Für telefonische Kontakte: 079 655 46 84 (prepaid ;-)