Anlässlich einer feierlichen Preisverleihung als Gastspiel im «Casinotheater» in Winterthur wurden heute/gestern Abend (29. Oktober 2002) bereits zum dritten Mal fünf Schweizer «Big Brother Awards» verliehen [0]. Mit diesen «Preisen, die niemand will» werden Personen oder Institutionen ausgezeichnet, die das persönliche Grundrecht auf den Schutz der Privatsphäre missachten oder die Überwachung und Kontrolle von Personen oder von Personengruppen fördern.
In seiner Eröffnungsrede wies der Datenschutzbeauftragte der Stadt Zürich, Thomas Bärlocher, insbesondere auf die Gefahren hin, die durch die zunehmende Vernetzung von persönlichen Angaben entstehen. Aufgrund der technischen Möglichkeiten der Verknüpfung von Datensammlungen werde es immer einfacher, sogenannte «Datenprofile» zu erstellen. Demgegenüber gelte es, die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zu schützen.
Drei Pokale gingen an die grössten Schnüffelratten in den Kategorien «Staat», «Business» und «Telekommunikation». Weiter wurde ein «Lebenswerk-Award» für besonders hartnäckige, lebenslange Spitzelarbeit verliehen. Neben diesen vier negativen Preisen wurde mit dem «Winkelried Award» besonders lobenswerter Widerstand *gegen* Überwachung und Kontrolle belohnt.
Der Anlass wurde gemeinsam organisiert von der «Swiss Internet User Group SIUG» [1] und vom «Archiv Schnüffelstaat Schweiz ASS» [2]. Mit einem «Big Brother Award» werden Firmen oder Einzelpersonen ausgezeichnet, welche das persönliche Grundrecht auf den Schutz der Privatsphäre missachten und/oder die Überwachung und Kontrolle von Personen oder von Personengruppen fördern.
In der Schweiz fand die Preisverleihung bereits zum dritten Mal statt. Unter den letztjährigen Preistägern befinden sich beispielsweise die Firmen Swisscom und Hoffmann-LaRoche, die Krankenkasse SWICA, die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten, das Militärdepartement VBS und Herr Urs von Däniken.
Die Nomination der Preisträger erfolgte durch das Publikum. Bis Ende August wurden über 80 Vorschläge für den Schnüffelpreis eingereicht. Die Sieger werden von einer elfköpfigen Jury mit namhaften VertreterInnen aus Politik und Medien ausgewählt [11]. Nach einer Vorprüfung durch das Organisationskomitee [0] wurden der Jury 54 Kandidatinnen und Kandidaten zur Beurteilung vorgelegt.
--> Eine vollständige Liste der Kandidaturen mit einer Begründung und weiterführenden Quellenangaben findet sich unter: http://www.bigbrotherawards.ch/2002/nomination/nominees/
Nach zwei Anlässen im Zürcher Kulturzentrum «Rote Fabrik» [8] fand die satirische Preisverleihung diesmal erstmals als Gastspiel im Casinotheater Winterthur statt [5] statt. Wie bereits in den Vorjahren verlas der Schauspieler Ernst Jenni die bisweilen zynische Laudatio [Auszüge finden sich demnächst auf der Website der OrganisatorInnen - 12]. Zwischen den einzelnen Kategorien intervenierte das Duo Volker und Thomas vom «Chaos-Theater Oropax» [14] mit angriffiger Wortsatire. Als Überraschungsgast trat der «Hausherr» Viktor Giacobbo auf. Der Anlass wurde musikalisch begleitet von der Winterthurer Theatersport-Band «Oli and the Penalties» [15].
In der Kategorie «Staat» ging der Hauptpreis an die Kantonspolizei Zürich, vertreten durch Oberst Peter Grütter, für ihre Fahndungs- und Journal-Datenbank «Joufara II» (Nr.191). Unter den ersten drei Nominierten befindet sich weiter das Bundesamt für Statistik für ihre Pläne zur Schaffung einer einheitlichen «Personen-Identifikations-Nummer» PIN (Nr.183), sowie der Gesamtbundesrat, vertreten durch Frau Ruth Metzler (EJPD), für die im November 2001 per Notrecht erlassene «Verordnung betreffend die Ausdehnung der Auskunftspflichten und des Melderechts von Behörden, Amtsstellen und Organisationen zur Gewährleistung der inneren und äusseren Sicherheit» (SR 120.1) (Nr.171).
Siegerin in der Kategorie «Business» ist die Firma Q-SYS aus St. Gallen (Nr.230). Sie vertreibt ein Computerprogramm zum kostenbewussten Qualitätsmangement von Menschen in Pflegeheimen. Auf der Basis von bis zu 250 überaus fraglichen Fragen werden diese in unterschiedliche «Pflegestufen» eingeteilt. Die Firma SWISS erhielt eine lobende Erwähnung für die Umsetzung einer Videoüberwachung der Innenräume ihrer Airbus-Flugzeuge (Nr.180), während die SWISSCOM Fixnet AG für einen Passus in ihren «Allgemeinen Geschäftsbedingungen» gelobt wurde (Nr.192). Mit dieser lobenden Erwähnung weist die Jury auf die zunehmende Tendenz von Versuchen hin, die Bestimmungen des Datenrechts mittels kleingedruckter Generalvollmachten über die Verarbeitung und Weitergabe von Kundendaten zu umgehen.
In der Kategorie «Telekommunikation» ging der erste Preis an Herrn Adrien De Werra, Chef im «Dienst für besondere Aufgaben» (DBA) beim UVEK (Nr.164). Er fordert den Ausbau des am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretenen «Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs» (BÜPF, SR 780.1). Dieses Gesetz verpflichtet Telekommunikationsanbieter und Internet-Provider, die Anschlussdaten ihrer Kundschaft während sechs Monaten aufzubewahren. Aufgrund eines abschliessenden Deliktkatalogs regelt das Gesetz überdies die Überwachung in Echtzeit. Nach De Werra müsste dieser bereits heute mehrere Dutzend Gesetzesartikel umfassende Deliktkatalog in Zukunft ausgeweitet werden. Eine lobende Erwähnung ging an die Firma Sunrise für die geschickte Formulierung ihrer «Benutzerrichtlinien für Internet-Dienstleistungen», die Tür und Tor für Spitzeleien öffnen (Nr.160). Mit einem weiteren Trostpreis wurde ein loser Zusammenschluss von drei Berufsschulen ausgezeichnet, die von ihren Schülerinnen und Schülern in sogenannten «Einverständniserklärungen» die Einwilligung verlangen, Internetkommunikation präventiv überwachen zu dürfen - mitsamt den persönlichen Mailkonten! (Nr.234)
Mit einem «Lebenswerk-Award» für besonders hartnäckige Beschnüffelung wurde der ominöse «Club de Berne» ausgezeichnet (Nr.243). Gerüchten zufolge wurde dieser informelle Verein 1971 in Bern gegründet, um im Kalten Krieg Nachrichten zwischen westlichen Ländern auszutauschen. Inzwischen soll der exklusive Club Geheimdienste aus 19 Staaten versammeln. Was der «Club de Berne» tatsächlich tut, wer die Geschäfte führt, auf welcher rechtlichen Grundlage er operiert, all das ist «top secret» und offenbar selbst im Bundeshaus nicht bekannt. Eine lobende Erwähnung ging an die Firma HOFFMANN-LA-ROCHE für ihre Hartnäckigkeit bei der Durchsetzung von systematischen Urinproben bei ihren Lehrlingen (Nr.212). Die Basler Chemiefirma erhielt bereits im Jahr 2000 einen «Big Brother Award» in der Kategorie «Business» und wurde -- wie andere Nominierte -- vom Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten kritisiert. Zur Zeit ist Fall bei der Datenschutzkommission hängig. Der Kriminologe Martin Killias aus Lausanne wurde insbesondere für sein «Fünfpunkteprogramm» zur Bekämpfung der Kriminalität gelobt, das u.a. die Registrierung *aller* Vergehen in einer Gen-Datenbank verlangt (Nr.207). Zur Eindämmung von Graffities fordert Killias die Einschränkung des Verkaufs von Farbspraydosen an Jugendliche.
Für den einzigen Positivpreis, den «Winkelried Award», standen fünf Kandidatinnen und Kandidaten zur Auswahl. Der erste Preis für lobenswerten Widerstand gegen Überwachung und Kontrolle ging an Bert Setzer (Pseudonym) für die von ihm lancierte «4Q Card». Dabei handelt es sich um eine formschöne geklonte Rabattkarte, die sowohl für COOP wie für Migros gültig ist. Mit der «4Q Card» werden die Rabattpunkte einem kollektiven Konto gutgeschrieben, wodurch die Anonymität der Nutzerinnen und Nutzer gewahrt bleibt. Lobende Erwähnungen gingen an Stefan S. (Pseudonym), der sich an die Presse wandte, nachdem er von der Bundespolizei über seine Kontakte zur Antiglobalisierungsbewegung ausgefragt worden war; an Germaine B. (Pseudonym), die sich gegen unhaltbare Diebstahl-Anschuldigungen ihrer Arbeitgeberin COOP zur Wehr setzte; an Annemarie Rey für ihren Einsatz zur Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs und zur Stärkung der Persönlichkeitsrechte der Frauen; und an den Winterthurer Schriftsteller Jürgmeier, der sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gegen Bespitzelung zur Wehr setzte, zuletzt in seinem neuen Buch «Staatsfeinde oder SchwarzundWeiss».
Alle fünf Beispiele zeigen, dass Zivilcourage und Ausdauer nötig sind, um sich gegen zunehmende Überwachung, Kontrolle und Bespitzelung zu wehren.
Wenige Tage vor dem Anlass im Casinotheater in Winterthur fanden Preisverleihungen in Deutschland und in Österreich statt (am 25. bzw. am 26. Oktober 2002) [10]. Die ersten «Big Brother Awards» wurden 1998 in Grossbritannien von der Organisation «Privacy International» verliehen [9]. Inzwischen finden Preisverleihungen in den USA und in verschiedenen Ländern Europas statt, so u.a. in Grossbritannien, Frankreich, Ungarn und in den Niederlanden [10]. Weitere Veranstaltungen in Belgien, Spanien, Japan und Australien sind in Planung.
Am Rande der Preisverleihung erklärten die Organisatoren der Schweizer Awards, dass die Ausschreibung für die «Brother Awards 2003» bereits eröffnet sei [13].
Die Verleihung der Schweizer «Schnüffelpreise» wird organisiert von der «Swiss Internet User Group SIUG» [1] und vom «Archiv Schnüffelstaat Schweiz» [2], mit Unterstützung des Vereins «trash.net» [3] und der online-Gewerkschaft //syndikat [4]. Medienpartner sind die «Wochenzeitung WoZ» [6] und «Le Courrier» [7]. Der Wettbewerb um die Schweizer «Big Brother Awards» 2000 und 2001 entstand in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Kulturzentrum «Rote Fabrik» [8].
Weitere Informationen zu den aktuellen und zu früheren GewinnerInnen sind unter <http://www.bigbrotherawards.ch> [0] erhältlich, ebenso Pressefotos.
[0] http://www.bigbrotherawards.ch
[1] http://www.siug.ch
[2] http://www.raben-net.ch/ficherman/
[3] http://www.trash.net
[4] http://www.syndikat.ch
[5] http://www.casinotheater.ch
[6] http://www.woz.ch
[7] http://www.lecourrier.ch
[8] http://www.rotefabrik.ch
[9] http://www.privacy.org/pi/bigbrother/
[10] http://www.bigbrotherawards.org
[11] Die Jury: http://www.bigbrotherawards.ch/2002/nomination/jury
[12] Die Laudatio ist demnächst zu finden unter
http://www.bigbrotherawards.ch/2002/event/laudatio
[13] Ausschreibung für Nominationen ab September 2002 bis August 2003:
http://www.bigbrotherawards.ch/2003/nomination/nomination
[14] http://www.oropax.de
[15] «Oli and the Penalties»: http://mefibo.ch/sport/back/hauskapelle.html
mailto:info@bigbrotherawards.ch
http://www.bigbrotherawards.ch