3880: augenauf: Prepaid-Handy-Aktion

Nominiert: augenauf Zürich, Basel und Bern
Kategorie: Winkelried

Zusammenfassung

Die Gruppe "augenauf" wurde für ihre Aktion mit Patenschaften für die Registrierung von Prepaid-Handies nominiert:

Aufgrund einer vom Parlament beschlossenen Revision des Telefonüberwachungsgesetzes (BüPF) mussten bis zum 31. Oktober 2004 alle BesitzerInnen von Prepaid-Handys bei den Telefongesellschaften ihre Identität registrieren lassen. Für die Registrierung wurden allerdings nicht alle ausländischen Ausweipapiere anerkannt. In einer bemerkenswerten Aktion organisierte die Menschenrechtsgruppe "augenauf" Schweizer Patinnen und Paten für die Handys von rund 3000 Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen. Die Gruppe hielt sich dabei exakt an die Vorgaben des BAKOM. Mit ihrer Aktion sorgte "augenauf" dafür, dass das Grundrecht auf Kommunikation auch für Asylsuchende gilt.

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"Anbieterinnen von Fernmeldediensten müssen von ihren Kundinnen und Kunden deren Prepaid-SIM-Karte nach dem 1. November 2002 in Betrieb genommen worden ist, bis zum 31. Oktober 2004 die Daten nach Artikel 19a erfassen. Nach Ablauf dieser Frist sind die Nummern der nicht registrierten Kundinnen und Kunden ausser Betrieb zu nehmen". Art. 36 a der Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF); in Kraft getreten am 1. August 2004

Unter dem Druck der Ereignisse des 11. Septembers 2001 in den USA und diversen Pressemeldungen wie z.B. "Terrorist mit CH-Handy" beschlossen Parlament und Bundesrat, dass nebst Italien, Deutschland und Ungarn künftig auch in der Schweiz alle Prepaid-Handy-BesitzerInnen registriert werden müssen (in den USA und anderen europäischen Ländern bestand im Oktober 2004 keine Registrierungspflicht). Im Kampf gegen Terrorismus, Organisierte Kriminalität und Drogenhandel sei eine solche Registrierung unabdingbar. Den entsprechenden Antrag stellte FDP Ständerat Dick Marty Tessin (wo er lange Jahre als Staatanwalt tätig gewesen war). Einer der erklärten Gegner war Ständerat Carlo Schmid (CVP Appenzell). Er appellierte an seine RatskollegInnen am 2. Dezember 2002, auf diese Massnahme zu verzichten: "Ich bin selbst Eigentümer und Benutzer eines Natel easy. Es hat nämlich auch Vorteile. Es ist im Gebrauch derart unglaublich teuer, dass es mich davon abhält, den ganzen Tag an diesem blöden Ding zu hängen.... Ein Argument hat mich in der ganzen Debatte immer schockiert, schon als es früher vorgebracht worden ist, nämlich dieser 11. September 2001. Meine sehr verehrten Damen und Herren: Sind Sie persönlich orientiert worden, was es damit auf sich hat? Wenn Sie es nicht sind, dann bitte ich Sie, dieses Argument nicht zu verwenden. Das ist nicht verwertbar. Man kann uns das Blaue vom Himmel erzählen, uns drohen und Angst machen, auf dieser Basis können wir nicht legiferieren.....Ob easy oder nicht easy, die organisierte Kriminalität wird mit Handy arbeiten. Ich fürchte, dass die Anzahl der Handy-Diebstähle astronomisch in die Höhe steigen wird, wenn sie diesen Verbrechern die Easy-Karten wegnehmen...Sie werden sich dann, wenn diese Apparate für sie gesperrt sind, wieder auf neue einstellen..." Mit 18 gegen 16 Stimmen wurde die Registrierung am 2. Dezember 2002 beschlossene Sache.

Am 10. Oktober 2004 berichteten die Medien: "Prepaid-Handys: Registrierung nutzlos" (NZZ am Sonntag, 10.10.2004) oder: "Handy-Registrierung ist ein Flop" (SonntagsZeitung, 10. Oktober 2004). Die Strafverfolgungsbehörden wiesen darauf hin, dass dieses für die Telecom-Anbieter enorm teure Vorgehen für die Überführung von möglichen Tätern gar nichts bringe. Die Umgehung der Registrierung könne auf einfachstem Wege stattfinden. Die Telecom-Unternehmungen ihrerseits waren komplett überfordert, teilweise wurden Handys unter frei erfundenen Adressen registriert ("Terminal A Kloten" oder "Entenhausenstrasse"); rund 80% der im März 2005 überprüften Adressangaben waren unbrauchbar.

Eine weitaus grössere Gruppe Menschen, die direkt von dieser Zwangsregistrierung betroffen war und ist sind Asylsuchende, Vorläufig Aufgenommene oder in der Schweiz ohne Papiere lebende Migrantinnen und Migranten (Sans Papiers). Zur Registrierung muss zwingend ein gültiger Pass, ein gültiges Reisedokument vorgelegt werden, etwas was die meisten der Asylsuchenden oder Kriegsflüchtlinge nicht besitzen. Gerade für diese Menschen ist aber der jederzeit mögliche Kontakt per Telefon enorm wichtig, viele haben keinen festen, "registrierten" Wohnsitz, bzw. sie sind zwingend auf ein Prepaid-Handy angewiesen für Kontakte zu Familien, Freunden, AnwältInnen, vor allem aber damit sie selbst erreichbar sind. Ein "normales" Handy-Abonnement kann nur bei Vorweisen eines gültigen Passes erworben werden und muss meist auf längere Dauer abgeschlossen werden.

Die Menschenrechtsorganisation "augenauf" hat dies erkannt und zu einer breiten Registrier-Aktion in Zürich und Bern aufgerufen. Zahlreiche Schweizerinnen und Schweizer mit gültigem Pass haben auf ihre Namen tausende von Prepaid-Handy-Nummern von Asylsuchenden oder Sans-Papiers registrieren lassen, völlig legal. Das Gesetz und die Verordnung verbieten es nicht, dass Prepaid-Karten weitergegeben werden.

Auf Druck parlamentarischer Vorstösse gegen die Aktion von "augenauf" sah sich der Bundesrat erneut zum Handlen gezwungen. Zusammen mit den Anbietern erarbeitet er im März 2005 erweiterte Massnahmen zur Umsetzung von Gesetz und Verordnung: Demnach sollen Neukunden künftig darauf aufmerksam gemacht werden, dass bei einer Weitergabe der SIM (Subscriber Identity Module)-Karte ihr Name und ihre Adresse von den Strafverfolgungsbehörden nach wie vor abgerufen werden können. Werden unter Einsatz der weitergebenen Prepaid-Karten kriminelle Handlungen begangen, muss der Erstkäufer mit einer Strafverfolgung rechnen.

Wieweit die Gerichte dieser bundesrätlichen Massnahme je folgen werden wird sich dann noch zeigen.

Begründung

Die Aktion der Menschenrechts-Organisation "augenauf" hat gezeigt, wie absurd diese Registrier-Aktion ist und wo der Sicherheitswahn an Grenzen stossen kann. Sie hat aber vor allem zahlreichen Asylsuchenden und abgewiesenen Flüchtlingen geholfen und gezeigt, dass Solidarität nach wie vor kein Fremdwort ist in der Schweiz.

Mit dieser Aktion hat "augenauf" eine Gesetzeslücke sinnvoll genutzt, bzw. aufgezeigt, dass die flächendeckende Registrierung von Prepaid-Handys unnötig hohe Kosten verursacht und letztlich ins Leere läuft.

Quellen